Schulgeschichte: Über 300 Jahre Ursulinen in Innsbruck - Tradition und Innovation

Ein historischer Überblick
  • 1535 gründete die hl. Angela Merici in Brescia die „Compagnia di Sant´ Orsola“, daraus entstand der Ursulinenorden als erster Erziehungsorden der Kirche. Dieser leistete Pionierarbeit in der Mädchenbildung. Seitdem ist es das Ziel der Ursulinenschulen, jungen Menschen Bildungsmöglichkeiten und Orientierung am christlichen Weltbild zu bieten und sie in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu fördern.
  • 1691 kamen die ersten Ursulinen von Landshut nach Innsbruck. Sie gründeten ein Kloster und die erste Mädchenschule der Stadt, die bis 1775 auch die einzige blieb.
  • 1705 bezogen sie das Konventsgebäude mit Internat und Schule am Innrain. Dieses war nach den Plänen von Baumeister Johann Martin Gumpp aus der Höchtenburg errichtet worden. Die „Frauen Ursulinen“ erwiesen sich in der Folge mehrfach als Pioniere der Mädchenbildung.
  • 1904 eröffneten sie ein Lyzeum: die erste höhere Schule für Mädchen in Tirol. Während des ersten Weltkriegs und in den wirtschaftlich schwierigen Jahren danach stieg der Bedarf an qualifizierter Schul- und Berufsbildung für Frauen. Der Konvent der Ursulinen reagierte hilfreich und klug auf die neue Situation: das Lyzeum wurde in ein Reformrealgymnasium und später in die Frauenoberschule umgewandelt, durch deren Anschluss einerseits die Hochschulreife erworben werden konnte und die andererseits als Ergänzung zur Wissensvermittlung einen sozialen und praktischen Schwerpunkt enthielt. Wir würden heute sagen: ein ganzheitliches Bildungsangebot (oder mit Pestalozzi: Zusammenspiel von Kopf-Herz-Hand) für die jungen Frauen!
  • 1938 wurde den Ursulinen von der NS-Regierung jede Unterrichtstätigkeit untersagt. Das Schul- und Internatsgebäude wurde für die staatliche Nutzung beschlagnahmt. Wegen dieser starken Einschränkung des Ordenslebens und -wirkens musste für einige Schwestern ein Einsatzbereich im Ausland gesucht werden. So folgten vier Ursulinen der Bitte des Benediktinerabtes und übernahmen 1939 im brasilianischen Jundiai ein Waisenhaus.
  • 1945 gelang es dem Innsbrucker Konvent bereits im September trotz aller Schwierigkeiten der Nachkriegssituation, die Schulen, das Internat und das Halbinternat neu zu eröffnen.
  • 1963 wurde aus der Frauenoberschule bei der Schulreform das „Wirtschaftskundliche Realgymnasium für Mädchen“. In den kommenden Jahren änderte sich die Bildungslandschaft grundlegend. Immer mehr SchülerInnen strebten den Besuch der höheren Schulen an. Auch an der Innsbrucker Ursulinenschule wuchs die Klassenzahl und damit der Raumbedarf, der in dem bestehenden, sanierungsbedürftigen Gebäude nicht erfüllt werden konnte. Zudem ergaben sich aus pädagogischer Sicht neue Anforderungen.
  • 1971 reifte im Konvent die Entscheidung für einen Neubau von Schule, Internat und Kloster. Ein mutiger Schritt!
  • 1979 setzte der Ursulinenkonvent durch die Übersiedlung in die von Architekt Josef Lackner geplanten Gebäude am Fürstenweg neue Akzente: Denn das künstlerisch und pädagogisch interessante Konzept der „neuen“ Schule betont Offenheit, Helligkeit, Kommunikation und bietet viele Anregungen und Möglichkeiten für unser Schulleben.
  • 2012 machte es die Altersstruktur des Konvents notwendig, für einen neuen Träger der pädagogischen Einrichtung zu sorgen, um die Zukunft von Schule und Heim zu sichern. So übergaben die Ursulinen mit Beginn des Schuljahres 2012/13 die Trägerschaft des Wirtschaftskundlichen Realgymnasiums der Ursulinen (mit Tagesheim) an die „Vereinigung von Ordensschulen Österreichs“. Das Schülerinnenheim wurde vom Verein „Akademikerhilfe“ übernommen.
  • 2013 trafen Schulerhalter und Direktion die Entscheidung, ab dem Schuljahr 2014/15 die Koedukation einzuführen. Wie die große Zahl an interessierten Buben zeigt, wurde damit einem Bedürfnis der Tiroler Bevölkerung Rechnung getragen.
  • 2016 Im Schuljahr 2015/16 feierten Konvent, Schulerhalter und das Ursulinengymnasium „325 Jahre Ursulinen in Innsbruck“. Während des Jahres wurden Workshops und Wettbewerbe zum Thema durchgeführt, am Schulschluss fanden ein Festakt und ein großer Jubiläumsgottesdienst statt. Zudem wurde eine Ausstellung zusammengestellt.
  • 2018 konnte mit Bischof MMag. Hermann Glettler in einem großen Schluss- und Dankgottesdienst „40 Jahre Ursulinen am Fürstenweg“ gefeiert werden. Auch blickte man auf die größeren Jubiläumsfeiern 1999, 2004 und 2009 zurück.
notae

    Zusammenstellung: HR Sr. Dr. Hildegard Wolf

    Weiterführende Literatur: Peter Paul Steinringer/Sr. Hildegard Wolf: „Wenn Zeiten und Umstände es erfordern…“ Der Beitrag der Innsbrucker Ursulinen zur Mädchenbildung in Tirol. In: notae. Historische Notizen zur Diözese Innsbruck. Band 4. Innsbruck 2018. S. 139-158.
    Sr. Hildegard gibt in ihrer Einführung einen sehr persönlichen und dankbaren Rückblick. Es folgt der geschichtliche Überblick von der Ordensgründung der Ursulinen bis zur gegenwärtigen Bildungsarbeit in Innsbruck.
    Das Buch ist zum Ausleihen in der öffentlichen Bücherei Ursulinen sowie in der UB vorhanden und auch käuflich in der Tyrolia bzw. im Diözesanarchiv erhältlich. Von der dazugehörigen Sonderpublikation gibt es in Kloster und Schule leider nur mehr wenige Restexemplare.

    Kurzbiografie der Ordensgründerin

    Angela Merici wird zwischen 1470 und 1475 in Desenzano als Kind einer angesehenen Familie geboren. Nach dem frühen Tod der Eltern beginnt für sie eine lebenslange Wanderschaft. Sie wird Mitglied des Dritten Ordens des hl. Franziskus, einer Laienorganisation mit religiös-sozialer Ausrichtung. Ab 1516 wirkt sie in Brescia, wo sie in der religiösen Reformbewegung „Divino Amore“ mitarbeitet. Neben der Gründung von Krankenhäusern steht die Betreuung von Frauen und Mädchen im Vordergrund. Angela entwickelt neue Vorstellungen vom Dienst am Menschen. Sie wird über Brescia hinaus bekannt als kluge Ratgeberin und Trostspenderin. Den Ruf des Papstes, als Begründerin eines Sozialsystems in Rom zu wirken, lehnt sie ab. Sie bleibt in Brescia und sammelt junge Mädchen und Witwen um sich, die sie religiös und sozial betreut. Dafür baut sie eine straffe Organisationsstruktur mit Sprengeleinteilungen und Kontrollinstanzen auf. Die Mitglieder ihrer Gemeinschaft sollen in einer neuen, bis dahin für Frauen unbekannten Lebensform, in Freiheit, in Eigenverantwortung und selbständig wirken. Sie sollen weiterhin nach Möglichkeit in ihren Familien bleiben, aber ein gemeinsames religiöses Leben pflegen. 1535 tragen sich 28 Gefährtinnen, als äußeres Zeichen der Gründung einer neuen Gemeinschaft, in das Buch der „Compagnia di Sant´ Orsola“ ein. Einige Jahre nach dem Tod von Angela Merici, im Jahre 1540, dem Gründungsjahr des Jesuitenordens, werden die Ursulinen zum Orden in der traditionellen Form. Seit 1691 wirken sie in Innsbruck, lange Zeit sind sie die einzigen in dieser Stadt, die sich um die Mädchenbildung sorgen.

     

    Das Charisma einer großen Persönlichkeit

    Damals wie heute wird die hl. Angela Merici  als eine faszinierende Persönlichkeit gesehen, die sich bereits zu Lebzeiten in Norditalien einer großen Verehrung und Akzeptanz erfreut, die sich aber eine kritische Distanz sowohl zur offiziellen Kirche als auch zum städtischen gesellschaftlichen Leben aufrecht erhalten kann. Scharen von Menschen suchen sie als Beraterin und Friedensstifterin auf. Die Geradlinigkeit und Konsequenz, mit der sie ihre Ziele verfolgt, die Strenge zu sich selbst sowie die unbedingte Forderung nach Askese bilden einen Kontrast zu der von ihr geübten Praxis von größtmöglicher Milde und Geduld im Umgang mit den ihr Anvertrauten und zu einem ungebrochenen Optimismus, der sich aus tiefem Gottvertrauen ableitet. Sie analysiert die Probleme ihrer Zeit und kritisiert vor allem den geistigen und religiösen Verfall des städtischen Renaissance-Bürgertums, sie erkennt, dass Bildung eine wesentliche Voraussetzung für die Emanzipation der Frau darstellt, sie schafft in der von ihr gegründeten „Compagnia di Sant´ Orsola“ eine neuartige Lebens- und Wirkungsmöglichkeit für unabhängige, selbständige Frauen außerhalb von Ehe oder Kloster (aut maritus aut murus). Für ihre Gemeinschaft begründet sie Strukturen, die ein geordnetes, alternatives Leben ermöglichen, sie nennt die zum Teil sehr jungen Mitglieder Schwestern und Töchter.

    Was mit einer Sternwallfahrt Dutzender Ursulinenschulen aus dem deutschen Sprachraum 1985 nach Brescia begann, setzten Konvent und Schule der Innsbrucker Ursulinen in mehreren Wallfahrten nach Brescia und Desenzano fort, um auf den Spuren der hl. Angela zu wandeln, ihr Charisma zu entdecken und darüber nachzudenken, ob das pädagogische Verständnis der Gründerin des Schulordens der Ursulinen auch aktuell Anleitungen für das Überprüfen des eigenen pädagogischen Standpunktes geben kann.

     

    Die pädagogische Idee, die in der Nachfolge Angelas entstanden ist

    Nachdenken über pädagogische Impulse aus dem 16. Jahrhundert
    „Ich rate dir, ich zwinge dich nicht!“

    Aus heutiger Sicht erscheinen im historischen Kontext des 16. Jahrhunderts folgende Schwerpunkte bemerkenswert:

    • Respekt vor der Personalität des Einzelnen: Jede/r ist individuell zu behandeln
    • Gleichbehandlung aller, unabhängig von Rang und Stand
    • Warnung vor der endgültigen / abqualifizierenden Beurteilungen junger Menschen
    • Begleitendes, gemeinsames Lernen steht im Gegensatz zum Dozieren und Befehlen
    • Lernen ist ein sozialer Prozess
    • Vorbild zu sein ist wirkungsvoller als viele Worte zu machen
    • Erziehung soll zur Selbsterkenntnis führen

    Diese pädagogischen Vorstellungen lesen sich auszugsweise (und hier unkommentiert) in Angelas Werken wie folgt, die Überschriften stammen vom Verfasser:

    Hirtinnen und Begleiterinnen sorgen für Töchter und Schwestern:
    „Denn je mehr ihr sie schätzt, desto mehr liebt ihr sie. /./ Es wird euch unmöglich sein, sie nicht alle, jede einzelne, Tag und Nacht gegenwärtig und im Herzen eingeprägt zu haben; denn so handelt und wirkt wahre Liebe. /./ Verliert nicht den Mut...!“

    Jede(r) ist eine Persönlichkeit:
    „Ferner flehe ich euch an, dass ihr alle eure Töchter, jede einzelne, im Bewusstsein behaltet und im Sinn und im Herzen eingeprägt habt, nicht nur ihre Namen, sondern auch ihre Herkunft, ihre Veranlagung und all ihr Sein und Leben.“

    Liebe und Gerechtigkeit:
    „Liebt eure Töchter auf gleiche Weise, zieht nicht die eine der anderen vor, denn alle sind Gottes Geschöpfe. Ihr wisst nicht, was er aus ihnen machen will. /./ Wer kann im Übrigen die Herzen und die geheimen Gedanken im Inneren des Geschöpfs beurteilen? /./ Ihr aber tut eure Pflicht, wenn ihr sie mit Güte und Liebe auf den richtigen Weg führt, wenn ihr sie aus menschlicher Schwäche in Irrtum fallen seht.“

    Mit Wohlwollen statt mit Zwang:
    „Seid wohlwollend und menschlich zu euren Töchtern././ Denn ihr erreicht mehr mit Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit als mit scharfen Worten“ /./ „Ich bitte euch eindringlich, strengt euch an, sie mit sanfter und behutsamer Hand zu führen, nicht gebieterisch, nicht mit Härte, sondern seid in allem wohlwollend“ /./ nach dem Vorbild des hl. Johannes: „Ich rate dir“, sagte er, und nicht: „ich zwinge dich!“ „Ich sage aber nicht, dass man nicht zuweilen irgendwelche Zurechtweisung und Strenge einsetzen muss, am rechten Ort und zur rechten Zeit, der Wichtigkeit, den Umständen sowie dem Bedürfnis der Person entsprechend.“

    Umgang mit fehlerhaftem Verhalten:
    „Bedenkt, wenn ihr eine in Güte dreimal oder höchstens viermal wegen irgendeines bedeutsamen Fehlers eindringlich ermahnt habt und seht, dass sie nicht gehorchen will, dann überlasst sie sich selbst. /./ Gerade wenn sich die Uneinsichtige so verlassen und ausgeschlossen sieht, kann es geschehen, dass sie sich zur Reue bewegen lässt und sich doch danach sehnt, in der Gemeinschaft zu bleiben.“

    Vorbild und Spiegel:
    „Lebt und verhaltet euch so, dass sich eure Töchter in euch spiegeln können. Tut zuerst selbst, was ihr von ihnen verlangt. Wie könnt ihr sie wegen eines Fehlers zurechtweisen oder ermahnen, wenn dieser noch in euch ist././ Möchtet ihr euch doch gemeinsam mit ihnen um jede Tat der Ehrbarkeit und Tugend bemühen././ Denn es ist recht und angemessen, dass die Mütter für die Töchter Vorbild und Spiegel sind, besonders in der glaubwürdigen Haltung, im Benehmen und in anderen Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit:“

    Zusammenstellung:  HR Mag. Peter Paul Steinringer

    Verwendete Literatur: Angela Merici. Regel - Ricordi - Legati. Hrsg.: Föderation deutschsprachiger Ursulinen. Werl 1992.

     

    Ergänzung zur pädagogischen Idee Angelas aus einem Gespräch mit Ursulinen des Innsbrucker Konvents

    Was ist für uns wichtig?

    „Sich für jede/n Einzelnen interessieren“
    Die Ursulinen betonen, abgeleitet von den Schriften (und- soweit bekannt- der Praxis der hl. Angela) den Wert des Individuums, der Eigenheit jedes Einzelnen. Dieser Geist prägt die Ordensgesellschaft, obwohl durch den Ordenseintritt für jedes Mitglied ein neues Leben beginnt. Die Frage der Toleranz spielt eine zentrale Rolle.

    „Raten statt befehlen“, „Rat statt Gelübde“
    Diese Forderung wird vom Gottesbild abgeleitet. Es dokumentiert sich im Aufbau einer Personbeziehung zu Gott, einem Gegenüber, das zur Freiheit führt. Im Sinne der hl. Angela ist es wichtig, zu hören, was der Geist sagt. Die Gelübde sollen mehr als Ratschläge im Sinne der evangelischen Räte (als Richtschnur für das eigene Ordensleben) verstanden werden denn als juridische Verpflichtungen. Früher handelte man diesbezüglich in den einzelnen Konventen formalistischer, seit dem Konzil orientiert man sich mehr an den Quellen, an den Schriften der hl. Angela, woraus sich ein neues Selbstverständnis des Ordenslebens entwickelt hat.

    „Mit sich selbst übereinstimmen“
    Integrität und Glaubwürdigkeit, auch im Schwach-Sein, sind Voraussetzungen, um nach außen als Vorbild wirken zu können.

    Die Weisungen der hl. Angela prägen das heutige Ordensleben:
    Der Begriff Weisungen tritt nach dem Konzil an die Stelle von Ordensregel.
    Das von der hl. Angela gezeichnete Menschenbild prägt den Umgang innerhalb des Konventes und - daraus resultierend - den mit den Schülerinnen. Auch intern soll es üblich sein, auf Menschen zuzugehen anstatt den erhobenen Zeigefinger zu verwenden. Die Schwestern sollen die hohe Kunst des Lebens lernen und anderen Menschen Orientierung geben. Arbeit am Bewusstseinswandel: Die Innsbrucker Ursulinen galten zu manchen Zeiten als strenger, geschlossener Orden mit einer Schule für höhere Töchter. In dieser Ansicht verbirgt sich eine historische Last, die es abzuschütteln gilt.

    Konkrete Aufgaben:

    • Dienst an Kindern, deren Eltern, den Mitschwestern und anderen Personen: Das Apostolat hört nicht auf.
    • Frauenbildung: Befreiung und Emanzipation (im besten Sinne) geschieht heute noch (erst recht) über die besondere Bildung von Mädchen und Frauen
    • Personalität: Hinführen junger Menschen zu ihren wahren Möglichkeiten
    • Förderung Benachteiligter, Ausgleichen sozialer Ungerechtigkeiten, soziales Engagement

    Zusammenfassung des Gesprächs mit den Schwestern des Innsbrucker Ursulinenkonvents vom 7.6.1999 durch Mag. Peter Paul Steinringer